Ein Tag von mir als Alltagshelfer und Betreuer

Es ist Anfang März und der Frühling scheint langsam Einzug zu halten. Gegen sieben Uhr in der Früh starte ich mit dem Rennrad in Richtung Pirna zum ersten Einsatz des Tages. Der große Rucksack ist vollgepackt mit allerlei Werkzeug. Die Aufgabe hier ist das Entfernen einer überflüssigen, unansehnlichen, wild verzweigten Hecke im Eingangsbereich eines Blocks. Die Genehmigung der Hausverwaltung liegt vor, ich schreite zur Tat. Der Patientin war das Gewächs schon länger ein Dorn im Auge. Säge und Baumschere gezückt und mit Unterstützung einer Mieterin ist die Arbeit rasch erledigt. Dem Mann der Patientin wiederum, ebenfalls ein Patient von mir, missfiel die Aktion. Unnötige Arbeit in seinen Augen. Er hat Krebs in unheilbaren Zustand und sich seinem Schicksal ergeben. Eine spätere Diagnose fiel trotz aller medizinischer Maßnahmen ernüchternd aus. Umso mehr freut es mich, wenn er jetzt ab und zu im Schein der Sonne auf der Bank neben der Eingangstür sitzt und ungehindert seine Blicke schweifen lassen kann, ohne dass die Hecke ihm die Sicht versperrt.

Mein Name ist André Eichhorn und ich arbeite seit geraumer Zeit für die Seniorenhelfer Sachsen GmbH, welche sich der Versorgung und Betreuung hilfsbedürftigen Menschen annimmt. Dies geschieht meist im häuslichen Umfeld um ihnen den Alltag in den eigenen vier Wänden oder in der Mietwohnung so lange wie möglich zu erleichtern. Dazu zählen unter anderem das Begleiten zum Einkaufen oder Arztbesuche, aber auch Hilfe im Haushalt oder auf dem Grundstück, oder einfach nur Gespräche führen, Gesellschaft leisten. Nur um einige Beispiele zu nennen. Dadurch ist meine Tätigkeit hier sehr vielseitig und interessant mit einer feinen Würze an Spaß und Freude. Auch wenn ich mitunter auf schwer durch Schicksale gezeichnete Menschen stoße. Nicht nur ältere Menschen brauchen unsere Unterstützung und Hilfe. Wie die Patientin Nummer zwei an diesen Tag, welcher ich meine Schularbeit widmen möchte.

Im Februar 2020, extrem kalt, kamen wir zum ersten Mal in Kontakt. Leider war sie im Vorfeld von einem Vorgängerbetreuungsdienst etwas enttäuscht worden. Somit war die erste Kontaktaufnahme eher verhalten und reserviert. Für mich als damaligen Neueinsteiger eine ziemlich unangenehme Situation. Bis zu diesen Tag hatte ich es nur Neukunden zu tun bekommen, ohne andere Hilfsdienste im Vorfeld. Das Verhältnis zwischen Ihr und mir sollte sich allerdings rasch im Laufe der nächsten Wochen ändern. Was zu erledigen war, geschah und geschieht immer noch zügig, ordentlich und ganz in Ihrem Interesse. Aufgaben werden im Vorfeld abgestimmt und zeitlich eingetaktet. Egal ob es arbeiten im Freien oder im Haus sind. Nach getaner Arbeit führen wir oft angeregte Gespräche. Das wir dabei auf dem selbem Niveau über Gott und die Welt schimpfen und lästern können machte einfach riesige Freude. Ihre direkte, ehrlich Art imponiert mich dabei immer wieder. Auch mir gegenüber, aber nur so lernt man bzw. kann Dinge ändern oder abstellen.

Und zu Ihr war ich an diesem Tag, mittlerweile in kurzen Sachen, als nächstes unterwegs. Das Ziel, wenige Kilometer nach Kreischa, ein tolles Haus mit großem Grundstück. Es freut mich jedes Mal, wenn ich sie begrüßen kann. Sie ist noch keine 60 Jahre, dafür aber unheilbar krank und jeder Tag in Ihrem Leben sehr wertvoll.

Die Patientin trägt den Krankenhauskeim MRSA in sich, unheilbar und multiresistent!

Das tragische daran ist, dass sie 2019 an dem SARS Virus erkrankte, diesen nach einem halben Jahr im Koma überstand und sich dann den schlimmen Keim mangels fehlender Hygiene im Krankenhaus einfing. SARS ist übrigens ein Verwandter von Corona. Die Folgen? Lungenentzündung, multiples Organversagen, Herz-Lungenmaschine, Lunge raus, einige Rippen raus, 18 Operationen, 6 Monate ITS, acht Wochen davon im Koma. Mittlerweile ist auch das rechte Auge durch Unsauberkeit, Herpesviren auf der Hornhaut kaputt. Und ich könnte alles erlebte aus den letzten Wochen unaufhörlich weiter aufschreiben. Auch wie von Seiten der Behörden, Krankenkasse mit Ihr umgegangen wird. Wer so viel überstanden und so viel durchlebt hat, muss schon ziemlich stark sein. Und das ist Sie! Geschieden, vom Sohn gänzlich verlassen, kämpft Sie sich durch jeden Tag. Und ab und zu komme dann ich vorbei um ihr kleine freuden im Alltag zu bereiten. Sei es, wie gesagt, der Kampf im Garten gegen lästiges Grün, im Haus der Einsatz von Putzmitteln oder Verschönerungsarbeiten. Auch Weihnachten und Ostern wird zusammen geschmückt. Zusammen dabei immer solange Sie es kräftemäßig durchhält.

An diesen Tag im März, möchte Sie Styroporplatten an die Garagendecke geklebt bekommen, welche sich unter der Stube befindet. Das benötigte Material dazu hatte ich bereits im Vorfeld organisiert und angeliefert. Das benötigte Werkzeug befindet sich in meinem Rucksack. Der Wunsch, die Hoffnung von Ihr ist, dass somit etwas die aufsteigende Kälte gedämmt wird. Eine tolle und nützliche Arbeit. Nur bei Sonnenschein und angenehmer Wärme? Der Frühling lacht einem entgegen und die Arbeit erscheint ziemlich lustig. Ich dazu in kurzen Sachen zu Werke. Da konnte ja keiner ahnen, was die nächsten Wochen mit sich bringen würden. Kälte und Schnee.
Das zuschneiden der Platte ist mühselig und die lästigen Krümel vom Sägen verteilen sich überall. Auch der Kleber reicht gerade so. Die Angabe auf dem Behälter ist ziemlich wage. Nichtsdestotrotz lacht mich am Ende des Tages eine fertige verkleidete Decke an. Reste verschwinden in der Tonne und der Staubsauger bekommt anschließend ebenfalls genug zu Tun.

Für eine der nächsten Arbeiten liegt das Material auch schon auf dem Hof. Zehn Säcke Rindenmulch. Der Termin hierfür muss nur noch abgestimmt werden.
Dies Erfolgt mit Abstimmung von beiden Seiten. Freie Termine meinerseits und geeignete Tage Ihrerseits. Nach den jeweiligen Tätigkeiten wird ein Abrechnungszettel für die Krankenkasse ausgefühlt. Manchmal die einzige Gelegenheit für ein kurzes Gespräch.
An jenem Tag hat die Arbeit einiges an Zeit in Anspruch genommen, somit ist der organisatorische Teil eben nur der kurze Moment zum Unterhalten. Eine kleine Bitte hat Sie noch, zwei Briefe müssen in den Postkasten. Selber kann Sie das Haus leider nicht mehr verlassen. Ist jedes Mal auf fremde Hilfe angewiesen. Jede zu starke Bewegung / Belastung kann dafür sorgen, dass ein weiteres Loch in Ihren Körper gerissen wird. Der Pflegedienst hat bei Ihr regelmäßig sehr viel zu Tun. Wunden reinigen und verbinden. Offene Wunden sind übrigens auch sehr gefährlich, da der Keim übertragbar ist. Zusätzlich sorgt der Zustand für sehr starke Schmerzen, was zur Folge hat, dass Sie hohe Dosen an Schmerzmitteln verabreicht bekommt. Regelmäßige Kontrollen im Krankenhaus oder durch den Hausarzt bestimmen außerdem den Alltag. Langweilig wird es für Sie nie. Ständige Fieberattacken zwingen Sie immer wieder auf die Couch. Auch kommt es oft zu Stürzen und Ohnmachtsanfällen. Grund hierfür sind die zurückgebildeten Muskeln überall am Körper. Sie verliert immer mehr an Kraft, zumal die sich Nahrungsaufnahme im Zusammenhang mit der Verträglichkeit als extrem Schwierig gestaltet.
Dabei war Sie früher eine absolute Sportskanone. Da ging es mit den Inlineskates oder dem Fahrrad bis in die Stadt und zurück. Auch Ihr letzter Beruf als Logopädin nahm Sie voll in Anspruch. Eine Helfende für Andere und nun selber auf Hilfe angewiesen. Die wenigen Male die ich da zur Hilfe schreiten kann, sind dann glaube immer wieder eine wahre freute für sie.

Der nächste vereinbarte Termin, zum wiederherrichten der Dekoration in der Garage steht an.
Pünktlich tauche ich bei Ihr auf. Was ich dann mit ansehen muss ist ziemlich erschreckend. Der Notarzt und Krankenwagen stehen vorm Haus und ich sehe wie sie gerade auf der Liege herausgebracht wird. Ihre im Nachbarhaus wohnenden Eltern stehen unmittelbar neben mir. Schon komisch sie auf diese Art und Weiße endlich einmal kennen zu lernen. Zwei nette ältere eigentlich selbst hilfsbedürftige Personen. Meine Patientin versucht schon länger sie von fremder Hilfe zu überzeugen. Ohne Erfolg bisher, was zur Folge hat, dass Sie vor allem Ihren Vater schwerfällig im Garten herumhantieren sieht. Eine zusätzliche Belastung für die Patientin.
Der Krankenwagen rückt ab und wir bleiben per Whats App Nachrichten in Kontakt. Dies sogar, wenn auch nur kurzen Inhaltes, bereits am selben Abend. In den folgenden Tagen und Wochen werden die Mitteilungen länger und hoffnungsvoller. Der Tag ihrer Rückkehr nach Hause steht nach vielen Wochen tatsächlich bevor.
Was die Arbeiten seither betrifft, sie sind mehr zielorientiert und nützlicher. Bestehende Termine einzuhalten sind sehr wichtig geworden. Ständige Verschiebungen, sei es durch die Schule, lange Staus auf der Autobahn, das Wetter oder ähnliches bedeuten sehr viel Stress für Sie. Mit spontanen Terminen sieht es genauso aus. Ich hoffe Sie auf jeden Fall noch so lange wie möglich in Ihren eigenen vier Wänden unterstützen zu können. Auch wenn ich Sie kaum noch in die Aufgaben mit einbeziehen kann.

Was mich persönlich betrifft, mir macht meine Arbeit sehr viel Spaß. Bin mit Begeisterung bei der Sache und durch die Arbeit sehr gereift. Der Umgang mit den einzelnen Patienten ist ja oft sehr lehrreich. Sei es aus den Geschichten ihrer Vergangenheit, ihrem damaligen Arbeitsleben oder ihrem jetzigen zu bewältigen Alltag mit diversen Einschränkungen. Durch ihre Erfahrungen aus dem Leben, welche sie bereitwillig mit mir teilen, lerne ich ständig neues dazu. Wie der Umgang mit diversen Werkzeugen, Haushaltgeräten, Putzutensilien, Verhaltensweisen in verschiedenen Lebenssituationen und so weiter. Jeder Tag, jeder Einsatz ist immer wieder eine neue Herausforderung und Entdeckungstour. Nicht jeder Einsatz und Patient ist gleich, Krankheiten und Schmerzen können einen Menschen schnell verändern. Mit diesen immer wieder neu entstehenden Situationen umgehen zu können erfordert ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl und Verständnis. Bisher ist mir dies stets gut gelungen und stieß damit auch überwiegend nur auf Zufrieden- und Dankbarkeit bei den Patienten. Es ist ein tolles Gefühl ihnen ein Stück Lebensfreude wiedergeben zu können, zumal ich auch immer wieder bei gewissen Tätigkeiten versuche sie zum Mitmachen zu animieren. Gemeinsam schaffen, lachen und fröhlich sein.
So fahre auch ich glücklich und zufrieden nach Hause und freue mich auf den nächsten Tag. Die Gestaltung meines Arbeitsalltages liegt in meiner Hand. Somit kann ich mich immer richtig auf den nächsten Einsatz und seine Herausforderung einstellen. Abwechslung zwischen Freud und Leid, Entlastung oder Betreuung einrichten.

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